Bizarre Felsformationen, byzantinische Höhlenkirchen mit leuchtenden Fresken, unterirdische Städte und Karawansereien – das geologische Weltwunder im Herzen Anatoliens raubt einem die Sinne. Mit Wohnmobil, Wanderschuhen und Mountainbike erlebt unser Autor Norbert Eisele-Hein in diesem »Schlaraffenland aus 1.001 Nacht märchenhafte Abenteuer.«

Im fahlen Mittagslicht scheint es fast als würde uns am Ende dieser kerzengeraden Straße eine ganze Armee versteinerter Zyklopen mit spitzen Hüten entgegenkommen. Die Felsformationen bei Soganli sind zwar uralt, aber sofort schalten unsere Synapsen in den wildesten Science-Fiction- Modus. Soviel vorweg – ganz Kappadokien gleicht einer einzigen Filmkulisse für dystopische Endzeitthriller, staubige Western, biblische Sandalenschinken und immer wieder Star Wars. Kein Wunder also, dass sich hier im Zentrum der Türkei internationale Filmteams die Klinke in die Hand geben. Gut so, denn das garantiert uns die nächsten 14 Tage stets bestes Autokino.
Aber alles der Reihe nach. Seit Güzelöz ragen die Felswände links und rechts schier senkrecht in den stahlblauen Himmel. Bei der Tokali-Kirche parken wir unser Wohnmobil und starten zu unserer ersten Wanderung. Ab sofort heißt es den Kopf ordentlich in den Nacken legen, um die Wohnstrukturen bis hinauf in den gefühlt achten oder gar zehnten Stock zu erspähen. Ein kleiner gelber Wegweiser zeigt steil bergauf. Die in den Felsen gehauene Treppe gleicht einer Himmelsleiter. Gleich bei unserer ersten Wandertour zwickt jeder Schritt in den Waden. Nach all dem gleißenden Grau brauchen die Augen ein paar Sekunden nach dem Eintritt durch das enge Loch im Fels. Die Fresken aus dem 10. Jahrhundert sind zwar zum Teil zerstört, aber die Felsenkirche ist immer noch ein prächtiges Kleinod. Der Abstieg über die ausgewaschenen, nur noch rudimentär vorhandenen Treppenstufen erfordert Trittsicherheit und fast schon eine Portion Schwindelfreiheit.
Fortan führt uns ein leicht gewellter Wanderweg mitten durch dieses aus dem Stein gehauene Manhattan in der Wüste. Die Tahtali Kilise, die Kirche der heiligen Barbara, erreichen wir ohne jegliche Schwierigkeit über einen simplen Holzsteg. Unser Guide Ali erweist sich schon nach wenigen Stunden als Glücksgriff. Er ist in Berlin aufgewachsen und spricht hervorragend Deutsch. Dank ihm werden all diese wunderbaren biblischen Darstellungen aus byzantinischer Zeit lebendig. Seine Erzählkunst haucht selbst den Steinen neues Leben ein.
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