Im Tiroler Nauders, dort, wo Österreich, Italien und die Schweiz sich beinahe die Hand geben, zeigt der Winter sein stilles Gesicht. Keine Menschenmassen, kein Après-Ski-Trubel – stattdessen weite Pisten, knirschender Schnee und Hütten, die nach Zirbenholz duften. Eine Reise an einen Ort, der beweist, dass Skifahren auch entschleunigen kann.

Der Schnee unter meinen Ski glitzert wie Puderzucker, die Luft ist so klar, dass sie fast in der Nase brennt. Vor mir fällt der Hang steil ab, so steil, dass ich kurz überlege, ob ich wirklich da hinunter will. »An dieser Stelle hat sich meine Mutter immer halb in die Hosen gemacht vor Angst«, sagt Tine, meine Reisebegleiterin. Sie steht ein paar Meter tiefer, locker im Hang, die Sonne im Gesicht, der Schwung perfekt.
Ich zögere kurz, dann folge ich den Gesetzen der Schwerkraft. Die Ski greifen, die Spur zieht sich in langen Bögen hinab. Wind im Gesicht, Schnee spritzt auf – und plötzlich ist alles da: dieses Kribbeln, das Tempo, die Freiheit. Es dauert nur wenige Sekunden, bis das mulmige Gefühl in Begeisterung kippt. Unten am Lift reihen wir uns in eine bunte Parade der Skimode ein: silberne Overalls aus den Neunzigern, grelle Jacken, überweite Snowboardhosen. Kinder mit roten Wangen ziehen neben uns ihre ersten Schwünge. »Nauders ist total familienfreundlich «, erzählt Tine. »Überschaubar, aber mit allem, was man braucht.« Ich glaube ihr aufs Wort.
Drei Länder, ein Winter
Nauders liegt auf einem Hochplateau am Reschenpass in Tirol, dort, wo Österreich, Italien und die Schweiz unmittelbare Nachbarn sind. Ein ruhiges Tiroler Bergdorf, das mehr ist als ein entspanntes Skigebiet – der 1.500-Seelen-Ort punktet mit Charme. Zwischen alten Steinhäusern dampfen die Kamine, der Kirchturm überragt das Tal, und hinter allem thronen die weißen Gipfel der Ötztaler Alpen und der Sesvennagruppe: Wer seinen Blick nach oben richtet, entdeckt die Bergkastelspitze (2.912 m). Bei klarer Sicht genießt man von ihrem Gipfel Panoramen Richtung Engadin und ins Oberinntal. Auch der Piz Lad (2.808 m), die Nauderer Hennesiglspitze (3.045 m) und der Mataunkopf (2.895 m) ragen rund um Nauders in den Himmel.
Mit 75 Pistenkilometern zählt Nauders zu den kleineren Skigebieten Tirols. Doch gerade das macht den Reiz aus: keine Warteschlangen, keine überfüllten Abfahrten, keine Hektik. Stattdessen: gut präparierte Pisten, eine klare Beschilderung, freundliche Gesichter. Anfänger finden sanfte Hänge, Fortgeschrittene wagen sich auf rote und schwarze Abfahrten. Für Kinder gibt es das Nauderix Kinderland gleich neben der Bergstation der Bergkastel Gondelbahn – ein eigenes kleines Skiuniversum mit Zauberteppich, Kinderkarussell, Maskottchen und Mini-Restaurant. Gleich daneben zieht sich die Goldseepiste ins Tal, eine neue, blaue Abfahrt, die wie gemacht ist, um Technik und Mut zu trainieren.
Lange Linie vom Gipfel ins Tal
Am nächsten Morgen fahren wir mit der Bergbahn hinauf zum Gueser Kopf auf 2.750 Meter. Es ist noch früh, die Sonne steht tief, der Schnee glitzert wie feines Glas. Die Aussicht reicht über drei Länder, die Gipfel zeichnen sich scharf gegen den Himmel ab. Die Abfahrt hinunter ist legendär: neun Kilometer, 1.350 Höhenmeter. Sie beginnt steil auf einer schwarzen Piste, wechselt dann auf rote und blaue Abschnitte. Eine Tour durch verschiedene Welten – oben anspruchsvoll, unten genussvoll.

Wer sie einmal gefahren ist, versteht, warum viele hier ihre Lieblingspiste finden. Wer es extremer mag, wagt sich auf »Die Schwarze«, eine kurze, steile Buckelpiste mit Anspruch. Und fünf markierte Freeride-Routen führen abseits der präparierten Piste durch Pulverschnee und stillen Wald. Wer danach noch Energie hat, fährt einfach über die Grenze: Der Zwei-Länder-Skipass verbindet Nauders mit italienischen Gebieten wie Schöneben. »Zwei Länder, ein Ticket – und das Gefühl, dass die Alpen keine Grenzen kennen«, schießt es mir durch den Kopf.
Hütten mit Charakter
Es duftet nach Speck und Knödeln. Auf der Lärchenalm herrscht gemütliche Betriebsamkeit, drinnen knacken die Holzbänke, draußen rauschen die Rodler vorbei. Tiroler Küche, ehrlich, deftig, perfekt nach einem kalten Vormittag. Ein paar Höhenmeter weiter oben thront die Stieralm – modern und hell, mit großen Fenstern und hölzerner Sonnenterrasse. Die Stieralm ist ein Beispiel dafür, wie Nauders Tradition und Zeitgeist miteinander verbindet: bodenständig, aber offen für Neues. Der Neubau schluckte rund 4,3 Millionen Euro und orientiert sich heute an traditioneller Almhüttenarchitektur mit modernem Komfort. Neue Zu- und Abfahrten ermöglichen vier Kilometer zusätzliche Pisten. Zudem dient die Alm als Ausgangspunkt für eine Höhenloipe und zahlreiche Winterwanderwege. Im Sommer füllen hier Wanderer und Mountainbiker ihre Mägen. Das beliebteste Gericht? Der Burger aus lokalem Rindfleisch.

Zwischen den Bäumen
Ein Stück abseits der markierten Pisten beginnt eine andere Welt. Kein Lift, kein Lärm, nur Stille – und Schnee, der so weich ist, dass er mit jedem Schwung wie Staub aufwirbelt. Ich folge Christian vom lokalen Tourismusverband in ein kleines Waldstück, wo die Bäume weit genug auseinanderstehen, um eine Linie zu finden. Der Hang ist bis auf ein paar Tierspuren unberührt, der Schnee knietief. Der erste Schwung ist zögerlich, der zehnte routiniert. Schnee wirbelt auf, einzelne Sonnenstrahlen brechen fingerdick durch die Äste. Das Rauschen der Liftbetriebe ist verschwunden, stattdessen lausche ich dem leisen Zischen des Pulvers und meinem eigenen Atem. Nauders bietet gleich mehrere ausgewiesene Freeride-Routen, die genau für solche Momente gemacht sind – sanfte Tiefschneehänge für Einsteiger, und steilere Varianten für Erfahrene. Sicherheit steht dabei an erster Stelle: Lawinenausrüstung ist Pflicht, und wer keine Erfahrung hat oder alleine unterwegs ist, schließt sich einem lokalen Guide an, der Gelände, Lawinenlage und Wetter kennt wie seine Westentasche. Als wir unten aus dem Wald kommen, jaulen die Oberschenkel, doch das Grinsen sitzt fest.
Ein Abend bei Michael Ploner
Zurück im Tal wartet ein weiteres Highlight: das Hotel Central mitten im Dorf, ein Traditionshaus mit modernem Herz. Hier kocht Michael »Michi« Ploner, ein junger Tiroler mit internationalem Horizont – und einem feinen Gespür für Aromen. Er arbeitete nicht nur im weltberühmten Noma in Kopenhagen bei Johann Lafer und im Mandarin Oriental in Bangkok, sondern ist seit 2016 österreichischer Küchenmeister und seit 2018 zusammen mit dem österreichischen Nationalteam Culinary World Cup Gewinner. An seiner Seite: die Küchenchefs Jürgen Mathoy und Oliver Mijic.
Am Abend kredenzen sie im Kammerli, wie das Restaurant im Hotel Central heißt, ein Menü, das die Region neu erzählt: Alpentatar mit gebeiztem Rind und Wildkräutern, Saibling auf Selleriepüree, Schokoladencreme mit Zirbe. Ploner arbeitet mit lokalen Produzenten, kennt jeden Bauern beim Namen, jedes Stück Käse beim Ursprung. Seine Küche ist leicht, präzise, überraschend – und trotzdem tief verwurzelt im Tiroler Boden. Der holzvertäfelte Speisesaal verströmt den Charme der Jahrhunderte. Ich lehne mich zurück, nippe an einem Glas Weißwein und spüre, wie sich die Wärme im Raum mit der Kälte des Tages mischt. Vielleicht ist das das Besondere an Nauders: dass hier alles im Gleichgewicht bleibt. Bewegung und Ruhe. Einfachheit und Haute Cuisine.
Mit sanften Schritten

Der nächste Tag steht im Zeichen einer Wanderung. Sie blicken mich aus großen, dunklen Augen an – ruhig, fast prüfend. Vier Lamas stehen im Halbkreis, ihr Fell ist flauschig wie ein Wintermantel, die Ohren sind aufmerksam nach vorn gerichtet. Eines von ihnen, Ramoz, schnaubt leise, als wolle er fragen: »Na, geht’s endlich los?« Unsere ersten Schritte sind zögerlich. Ich will laufen, Ramoz lieber sonnenbaden. Dann gehe ich langsamer, halte Blickkontakt – und plötzlich passt es. Wir finden unseren Rhythmus. Langsame, gleichmäßige Schritte, das leise Knirschen des Schnees unter den Stiefeln, Atemwolken, die in der kalten Luft tanzen. Wir ziehen durch den Wald oberhalb von Nauders, ein stiller Pfad zwischen verschneiten Lärchen und Fichten. Die Sonne glitzert auf dem frischen Pulverschnee. Von fern hört man eine Krähe, sonst: meditative Stille bis auf das leise Schnauben der Tiere. Lamas, lerne ich, sind geborene Entschleuniger. Sie drängen nicht. Sie schauen. Sie gehen, wenn es sich richtig anfühlt. »Man kann nicht hetzen, wenn man mit einem Lama unterwegs ist«, sagt Andreas Dilitz, der uns führt. »Man kann nur ankommen.«
Die Tiere stammen ursprünglich aus den Anden, leben aber auch in Tirol erstaunlich gut. Sie tragen keine Lasten, sie begleiten. Und während ich anfangs dachte, ich würde das Lama führen, merke ich nach einer halben Stunde: Es ist eher umgekehrt. Mein Schritt wird ruhiger, der Blick offener, das Tempo fließt dahin wie ein leiser Bach unter Schnee.
Nach circa einer Stunde erreichen wir eine kleine Lichtung. Jemand gießt Tee aus einer Thermoskanne, der Duft von Bergkräutern steigt in die Nase. Ramoz legt sich in den Schnee, kaut an einem Büschel Gras. Ich stehe daneben, kraule vorsichtig seinen Hals – und spüre ein friedliches Gefühl. Kein großes Abenteuer, kein Gipfelerlebnis. Aber ein Moment, der bleibt. Als wir zurück am Hof sind, halte ich kurz inne, schaue ihm nach – und denke, dass es kaum eine bessere Art gibt, in den Bergen zur Ruhe zu kommen als im Tempo eines Lamas.
Abende voller Stille
Als die Sonne hinter den Bergen verschwindet und sich der Himmel rosa färbt, legt sich eine Ruhe über das Dorf, die man anderswo längst verloren hat. Nur das Knirschen der Stiefel auf festem Schnee, irgendwo Gelächter aus einer kleinen Bar. Nauders ist kein Ort für Trubel und Après-Ski. Es ist ein Ort für alle, die den Winter noch spüren wollen – das echte, klare Gefühl von Schnee, Berg und Zeit. Ich denke an den ersten Hang, an das Herzklopfen, an die Freeride-Abfahrten durch den Pulverschnee. Ein Traum in Weiß. Ganz ohne Lärm.
ZUR REGION
NAUDERS
Nauders ist ein Wintersport-Ort im Tiroler Oberland, direkt an der Grenze zu Italien. Das Skigebiet Nauders am Reschenpass bietet Pisten für Anfänger und Fortgeschrittene, zusammenhängende Abfahrten und moderne Liftanlagen. Auch super: Ab dem Kauf einer Zwei-Tageskarte für das Skigebiet Nauders können Gäste einen Skitag am schneesicheren Kaunertaler Gletscher oder am familienfreundlichen Winterberg Fendels nutzen.
WINTER.WUNDER.WELT
Wer Spaß für die ganze Familie im Winterurlaub
sucht, findet in der Winter.Wunder.
Welt am Fuß von Schloss Naudersberg
ein buntes Angebot: Auf dem rund 16.000
Quadratmeter großen Areal kommt keine
Langeweile auf: Schlittschuhlaufen, Eishockey
oder Eisstockschießen bringen
Spaß, ebenso wie die Tubing- und Zipfelbobbahn
und die Rodelstrecke. Stärkung
und wärmenden Glühwein gibt es in der
Almhütte. Wöchentlich verwandelt ein DJ
die Eisfläche in eine Eisdisco. Der Clou: Der
Eintritt ist kostenlos. Täglich geöffnet von
15 bis 21 Uhr.
nauders.com


