Eine Gratwanderung im Bayerischen Karwendel

Björn Nehrhoff von Holderberg, der im hohen Norden zu Hause ist, zieht es mindestens einmal im Jahr in die Berge. Diesmal stand das Karwendelgebirge auf seinem Programm, wo er Einsamkeit suchte – und auch fand. Eine Paddeltour auf der Isar rundete das Ganze ab.

Mindestens einmal im Jahr treibt es mich von der norddeutschen Küste für eine Gepäckwanderung in die Berge. Dabei ist es nicht so wichtig, wie hoch die Gipfel sind oder wo diese stehen. Geboten scheint mir dagegen eher eine gewisse Einsamkeit auf der Route, damit sich der Naturgenuss voll entfalten kann. So kommt es mir sehr gelegen, dass ich einen geschäftlichen Termin in München mit einer mehrtägigen Wanderung im Karwendel verbinden kann, eine Gebirgsgruppe, die sich in den Nördlichen Kalkalpen befindet. Der größte Teil davon liegt im österreichischen Bundesland Tirol.

Meine ausgesuchte Route, die in der Nähe der Isar nahe der Ortschaft Fall beginnt und über einige Gratwege führen soll, um dann in Krün zu enden, kratzt allerdings nur an der Grenze und bleibt auf ganzer Strecke im Freistaat Bayern. Nun ist das bajuwarische Karwendel in der Saison nicht gerade bekannt für seine Bergeinsamkeit. Dem entgegen steht allerdings, dass wir gerade erst Anfang Mai haben und der Schnee noch bis hinauf auf etwa 1.700 Meter liegt. Um die Ruhe, so vermute ich, muss ich mir zu dieser Jahreszeit keine Gedanken machen. Vielmehr beschäftigt mich meine Kondition, denn schon auf den ersten Metern vom Parkplatz am Ende des Sylvensteinspeichers, einem fjordartigen See, der um des Hochwasserschutzes wegen ins Isartal geklotzt wurde, komme ich ganz schön ins Schnaufen.

Wir sind zu zweit auf Tour und ich merke deutlich, dass mein Begleiter Arnim, der selbstverständlich nie »trainiert«, aber ständig in den Bergen forstlich arbeitet, deutlich besser unterwegs ist. An der Küste kann ich noch so viel radfahren und mit dem Kajak die Kelle schwingen, Wanderkondition ist einfach eine Sache für sich. So begreife ich das Szenario als eine Art Frühjahrsputz für meine untrainierten Knochen.

Ein Gipfel gehört in jeden Wandertag

Vom Ufer des Sees wollen wir durch schöne Berggrate in Richtung Westen nach Krün laufen. Doch vorerst steigen wir zwischen dem Roßkopf und dem Grammersberg auf einem Pfad nach oben, der sich bald zu einem Forstweg ausweitet. Während die Blätter in der Tiefebene schon seit einer Woche frisches Grün zeigen, wagen sich an den alten Buchen, die den Weg begleiten, nur erste zaghafte Knospen in die kühle Bergluft hervor. Die meisten Laubbäume sind allerdings noch kahl, was dafür sorgt, dass wir auch auf dem Waldweg einen guten Ausblick haben.

Bald sind wir so hoch, dass der Bergmischwald durch Fichtenbergwald ersetzt wird. Gleichzeitig herrscht hier Anfang Mai noch Aprilwetter. Sind wir vor wenigen Minuten noch im Sonnenschein und mit langärmeligem Shirt gewandert, so stehen wir wenig später in einem fetten Regenschauer. Zu der merklichen Abkühlung gesellen sich auch noch Blitz und Donner. Zum Glück können wir das Frühjahrsgewitter unter dem Dachüberstand einer kleinen Hütte am Wegesrand aussitzen. Nach einem prüfenden Blick in den Himmel geht es eine Stunde später weiter.

Der Forstweg ist mittlerweile wieder zu einem Bergpfad mutiert und wir bewegen uns an der Südflanke des Grammersberg in eine offene Almlandschaft hinein. Der Wald tritt zurück und eine Mischung aus weiten Wiesenflächen und Felsbändern nimmt das Gelände ein. Wunderbar, denn auf dem nun folgenden Gratweg können unsere Blicke frei ins Tal schweifen.

Bald gelangen wir zum Grasköpfl. Ein Gipfel gehört in jeden Wandertag. Mittlerweile scheinen meine Knochen etwas aufgeräumter zu sein, so dass wir die 100 Höhenmeter Aufstieg schnell bewältigen. Ein durchaus lohnender Abstecher, denn vom Gipfel bietet sich ein grandioser Weitblick in alle Richtungen, während unter uns eine Gruppe Gämsen an den Berghängen entlang turnt, ohne groß Notiz von uns zu nehmen. Dunkle Wolken treiben uns allerdings bald zu Eile an.

Wegen des späten Starts sollten wir uns bald nach einem Übernachtungsplatz umschauen. Dafür steigen wir schnellen Schrittes das Grünlahnereck hinunter und kommen auf eine Alm, auf der weit und breit niemand zu entdecken ist. Mittlerweile haben die Wolken wieder ihre Schleusen geöffnet. Erneut finden wir Unterschlupf unter dem Dachüberstand einer Almhütte. Um Trinkwasser brauchen wir uns nicht zu kümmern, denn über ein Holzrohr, das das Wasser vom Dach ableiten soll, sprudelt ein kleiner Wasserfall direkt in unseren Topf. Da sich das Wetter nicht bessert, verbringen wir die Nacht an selbiger Stelle in unsere Biwaksäcke gehüllt. Die ständig alternierenden Wassergeräusche wie Tropfen, Rauschen, Platschen, Rinnen und Fließen wiegen uns schnell in einen erholsamen Schlaf, wie man ihn nur nach einem ausdauernden Wandertag genießen kann. Beim Aufwachen trauen wir unseren Augen kaum, denn die pralle Alpensonne grüßt vom Himmel. Schnell sind wir auf den Beinen und promenieren über eine fast schwedisch anmutende Landschaft durch die Weiten der Moosenalm. Hinter dem Kälbereck geht es dann schnell abwärts hinunter ins Rißbachtal. Beim Abstieg begegnen wir den ersten Wanderern, seit wir losmarschiert sind. Mein Plan mit der Bergeinsamkeit im Mai scheint also aufzugehen…

Björn Nehrhoff von Holderberg

Daten & Fakten

  • Charakter/Länge: Die Wanderung hat eine Länge von etwa 40 Kilometern und etwas mehr als 3.000 Höhenmeter im Auf- und Abstieg. Zahlreiche Abstecher sind möglich. Die hier aufgeführte Strecke gehört bis zum Erreichen der Soiernseen zu den weniger begangenen Strecken im Karwendel. Trotzdem ist das Gebiet nicht unattraktiv und es warten weite Ausblicke von schönen Gipfelgraten. Schnee kann im Mai eine Wanderung aber auch unmöglich machen.
  • Übernachten: Die einzige Übernachtungshütte auf der Strecke findet man an den Soiernseen. Einkehren kann man dagegen in der Saison auch im Oswaldhaus und in der Fischbachalm.
  • Beste Zeit: Im Sommer kann man sicher mit dem angenehmsten Wetter rechnen. Allerdings ist dann auch deutlich mehr Wandervolk unterwegs und die Hütte sollte eventuell vorgebucht werden. In der frühen Nebensaison hat man dagegen die Berge fast für sich allein, muss aber eher mit Wetterumschwüngen rechnen.
  • Karte: Kompass Wanderkarte »Karwendelgebirge« WK 26 (Maßstab 1:50.000; Kompass Karten; ISBN: 978-3-85491-027-5; 7,95 Euro) Literatur: »Karwendel – die schönsten Tal- und Höhenwanderungen« von Robert Demmel (Bergverlag Rother; ISBN 978-3-7633-4214-3; 12,90 Euro)
  • Urlaubstipp: Wer Wandern und Wellness verbinden möchte, ist im »Wanderhotel Kristall« in Pertisau genau richtig. Seit 2012 ist das Vier-Sterne-Haus das einzige zertifizierte Mitglied der Wanderhotels »best alpine« in der Wanderregion Achensee. Im Sommer bietet das Hotel bis zu sechs geführte Wanderungen pro Woche. Im Winter stehen Schneeschuhwandern und Winterwandern mit kostenfreien Leih-Schneeschuhen auf dem Programm. Weitere Infos gibt es unter www.kristall-pertisau.at

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Ausgabe 01/2013.

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